Die Raupe und der Schmetterling (Andere Gedichte)
Die Raupe und der Schmetterling. Freund, der Unterschied der Erdendinge Scheinet groß und ist so oft geringe; Alter und Gestalt und Raum und Zeit Sind ein Traumbild nur der Wirklichkeit.
Träg’ und matt, auf abgezehrten Sträuchen Sah ein Schmetterling die Raupe schleichen; Und erhob sich fröhlich, Argwohnfrei Daß er Raupe selbst gewesen sei. Traurig schlich die Alternde zum Grabe:
„Ach daß ich umsonst gelebet habe! Sterbe Kinderlos und wie gering! Und da fliegt der schöne Schmetterling.“
Aengstig spann sie sich in ihre Hülle, Schlief und als der Mutter Lebensfülle
Sie erweckte, wähnte sie sich neu, Wußte nicht, was sie gewesen sei. Freund, ein Traumreich ist das Reich der Erden. Was wir waren? was wir einst noch werden? Niemand weiß es; glücklich sind wir blind;
Laß uns Eins nur wissen, was wir sind.
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:40 von 2rhyme
Autor: Johann Gottfried Herder
Quelle: de.wikisource.org
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