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Ratcliff (Buch der Lieder 1827) (Andere Gedichte)

     Der Traumgott brachte mich in eine Landschaft,
Wo Trauerweiden mir „Willkommen“ winkten,
Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen
Mit klugen Schwesteraugen still mich ansah’n,

Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitschern,

Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt schien,
Und Stimmen und Gestalten mich begrüßten,
Wie einen alten Freund, und wo doch Alles
So fremd mir schien, so wunderseltsam fremd.

Vor einem ländlich schmucken Hause stand ich,

In meiner Brust bewegte sich’s, im Kopfe
War’s ruhig, ruhig schüttelte ich ab
Den Staub von meinen Reisekleidern,
Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf.

     Da waren Männer, Frauen, viel bekannte

Gesichter. Stiller Kummer lag auf allen
Und heimlich scheue Angst. Seltsam verstört,
Mit Beileidsmienen fast, sah’n sie mich an,
Daß es mir selber durch die Seele schauert’,

Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.

Die alte Marg’reth hab’ ich gleich erkannt;
Ich sah sie forschend an, jedoch sie sprach nicht.
„Wo ist Maria?“ fragt’ ich, doch sie sprach nicht,
Griff leise meine Hand, und führte mich

Durch viele lange, leuchtende Gemächer,

Wo Prunk und Pracht und Todtenstille herrschte,
Und führt’ mich endlich in ein dämmernd Zimmer,
Und zeigt’ mit abgewandtem Angesicht’,
Nach der Gestalt, die auf dem Sopha saß.

„Sind Sie Maria?“ fragt’ ich. Innerlich

Erstaunt’ ich selber ob der Festigkeit,
Womit ich sprach. Und steinern und metalllos
Scholl eine Stimm’: „So nennen mich die Leute.“
Ein schneidend Weh durchfröstelte mich da,

Denn jener hohle, kalte Ton war doch –

Die einst so süße Stimme von Maria!
Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
Nachlässig angezogen, Busen schlotternd,
Die Augen gläsern starr, die Wangenmuskeln

Des weißen Angesichtes lederschlaff –

Ach, jenes Weib war doch die einst so schöne,
Die blühend holde, liebliche Maria!
„Sie waren lang auf Reisen!“ sprach sie laut,
Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,

„Sie schaun nicht mehr so schmachtend, liebster Freund,

Sie sind gesund, und pralle Lend’ und Wade
Bezeugt Solidität.“ Ein süßlich Lächeln
Umzitterte den gelblich blassen Mund.
In der Verwirrung sprach’s aus mir hervor:

„Man sagte mir, Sie haben sich vermählt?“

„Ach ja!“ sprach sie gleichgültig laut und lachend,
„Hab’ einen Stock von Holz, der überzogen
Mit Leder ist, Gemahl sich nennt; doch Holz
Ist Holz!“ Und klanglos widrig lachte sie,

Daß kalte Angst durch meine Seele rann,

Und Zweifel mich ergriff: – sind das die keuschen,
Die blumenzarten Lippen von Maria?
Sie aber hob sich in die Höh’, nahm rasch
Vom Stuhl den Türken-Shwal, warf ihn

Um ihren Hals, hing sich an meinen Arm,

Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthür,
Und zog mich fort durch Feld und Busch und Au’.

     Die glühend rothe Sonnenscheibe schwebte
Schon niedrig, und ihr Purpur überstrahlte

Die Bäume und die Blumen und den Strom,

Der in der Ferne majestätisch floß.
„Sehn Sie das große, goldne Auge schwimmen
Im blauen Wasser?“ rief Maria hastig.
„Still, armes Wesen!“ sprach ich, und ich schaute

Im Dämmerlicht’ ein mährchenhaftes Weben.

Es stiegen Nebelbilder aus den Feldern,
Umschlangen sich mit weißen, weichen Armen;
Die Veilchen sahn sich zärtlich an, sehnsüchtig
Zusammenbeugten sich die Lilienkelche;

Aus allen Rosen glühten Wollustgluthen!

Die Nelken wollten sich im Hauch entzünden;
In sel’gen Düften schwelgten alle Blumen,
Und alle weinten stille Wonnethränen,
Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!

Die Schmetterlinge flatterten, die hellen

Goldkäfer summten Lieblingsliedchen,
Die Abendwinde flüsterten, es rauschten
Die Eichen, schmelzend sang die Nachtigall –
Und zwischen all dem Flüstern, Rauschen, Singen,

Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme

Das welke Weib, das mir am Arme hing.
„Ich kenn’ Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß;
Der lange Schatten ist ein guter Tropf,
Er nickt und winkt zu allem was man will;

Der Blaurock ist ein Engel; doch der Rothe,

Mit blankem Schwert, ist Ihnen spinnefeind.“
Und noch viel bunt’re, wunderliche Reden
Schwatzt sie in einem fort, und setzte sich,
Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank,

Die unterm alten Eichenbaume steht.


     Da saßen wir beisammen, still und traurig,
Und sahn uns an, und wurden immer traur’ger.
Die Eiche säuselte wie Sterbeseufzer,
Tiefschmerzlich sang die Nachtigall herab.

Doch rothe Lichter drangen durch die Blätter,

Umflimmerten Maria’s weißes Antlitz,
Und lockten Gluth aus ihren starren Augen,
Und mit der alten, süßen Stimme sprach sie:
„Wie wußtest Du, daß ich so elend bin,

Ich las es jüngst in deinen wilden Liedern?“


     Eiskalt durchzog’s mir da die Brust, mir grauste
Ob meinem eig’nen Wahnsinn, der die Zukunft
Geschaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
Und vor Entsetzen bin ich aufgewacht.



Eingetragen am 08.11.2011 09:34:49 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org



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