Arkona (Andere Gedichte)
Die Sonne neigte sich. Zu athmen nach der Schwüle Und nach der Last des Tags in frischer Abendkühle Entriß ich lechzend mich der Mauren dumpfem Brand, Und wanderte hinab zum schöngebognen Strand.
Kein Lüfftchen kräuselte des Meeres Spiegelglätte, Der Seehund sonnte sich auf dem granitnen Bette Die Taucher plätscherten, es scherzten Mäw’ und Schwan Im lauen Ozean. Und tiefer sank die Sonn’. Getaucht in Rosengluthen,
Bespühlt den rauhen Fuß mit düstergrünen Fluthen, Lagst du, der Väter Stolz, der alten Rugia Gepriesnes Capitol, Arkona, thürmend da. Ich nahte mich, erklomm des Burgrings schroffe Zacken, Beschritt mit kühnem Fuß des heilgen Hügels Nacken,
Und schaute schrankenlos fern über Land und See, Ins Unermeßliche. Wie schwoll die Brust, wie schlug in immer raschern Schlägen Dem ungemeßnen Raum das kranke Herz entgegen, Den lautern Aetherstrom, so labend, frisch und rein, Wie lüstern schlürften ihn der Lunge Röhren ein! Der eingepreßten Brust entstürzten Felsenblöcke, Dem zugeschnürten Aug’ entrollten Bind’ und Decke, Der Heimath eingedenk, entschwang das edle Ich Des Stoffes Banden sich.
Und tiefer sank die Sonn, von ihrem letzten Strahle Erglüheten die grauen Heldenmaale[2] Noch warf die Liebende des Abschieds milden Blick, Den Blick des Lebewols auf ihre Welt zurück. Ein magisch Licht umschwamm die schimmernde Musive Der Landschaft, sanft verschmolz in blauer Perspective Die Ferne, rings umfloß Arkonens Hochaltar Ein heilig Dunkelklar. Noch stand ich aufgelößt in ahndungstrunknes Staunen, Da hört’ ichs mir ins Ohr, wie Geistgeflüster raunen:
„Knie nieder und bet’ an“! Ich sank ins falbe Moos, Und also rang es sich aus meinem Innern loß: „O du – wie nenn ich dich, dem alle Busen wallen, Und alle Herzen glühn, und alle Zungen lallen – Zeus, Tien, Manitou, Allfader, Brama, Foh, Eloah, Allah, O!“ [3]. „Sey, wer du seyst – du bist! Ja, Wesen, aller Wesen, Ich glaube, daß du bist. Ich glaub’, und bin genesen. Ruhlechzend lehnt an dir der grübelnsmüde Geist, Den rastlos der Begriff in ewgem Wirbel reißt. Mag gleich dein Wie? und Wo? kein Syllogism erklügeln,
Kein Seherblick erspähn, kein Vedam uns entsiegeln, Mag schwärmen der Epopt, mag spötteln der Sophist, Ich glaube, daß du bist“. „Es zeuget, daß du seyst, der göttliche Gedanke, Der jeden Zwang verschmäht, und spottet jeder Schranke, ?Den Himmel jezt erfliegt, zur Tiefe dann sich senkt, Das All, sein eigen Ich, und Dich, du Ewger, denkt. Die innre Stimme zeugts, die nimmer schweigt noch heuchelt, Die nie dem Triebe frohnt, und nie den Lüsten schmeichelt, O Du, der heilig ist, o du, der selig ist,
Ich glaube, daß du bist“! So rufend schaut’ ich auf, und sieh, des Spatroths Gluthen Erblaßten. Schwer und tief hing auf die schwarzen Fluthen Und auf den Dünenschnee ein Trauerflor herab, Noch war die Schöpfung still und lautlos wie ein Grab.
Jezt rauscht es fern, der Sturm erwacht, die Wogen grollen, Es blizt aus Süd’ und West, aus Süd’ und Westen rollen Die Donner, dumpf erklingt die hohe Uferwand, Dumpf Jasmunds Riesenstrand [4]. Und reissend wie ein Pfeil, geschnellt vom eibnen Bogen,
Kam, von Verderben schwer, das Wetter angeflogen, In wildem Aufruhr gohr die Luft, die See, das Land, Die Brandung geisselte den schaumbesprüzten Strand, Der dicken Nacht entschoß ein Knäuel weisser Flammen, Ein friedlich Dörflein sank in Schutt und Graus zusammen, Der Hagel schlug die Saat, und ein entmastet Schiff Zerschellt’ am Felsenriff. Und durch den lauten Sturm, und durch der Donner Dröhnen Erscholl der Schrey der Angst, des Jammers dumpfes Stöhnen, Mich wehten Schauder an, mich faßte blizgeschwind,
Und schüttelt’ Hünenstark der Zweifel Wirbelwind. Gestemmt auf meinen Grimm schaut’ ich mit bitterm Hohne Und frevelm Troz empor zum blizumschoßnen Throne Des Donnerschleuderers, und rief mit frechem Spott: „Thor, wo ist nun dein Gott“? So wird dem Strom ein Kahn, so ward ich dir zum Raube Erinnys Zweifelsucht! Erschüttert war mein Glaube, Gestaltlos graußte mich die Schöpfung, ein Tyrann Der Schöpfer, kalt und starr ein eisern Fatum an. Zwo schwarze Stunden flohn. Jezt war der Blizze Feuer
Erschöpft, zerrissen war des’ Himmels Wolkenschleier, Und über mir erschien in hehrer stiller Pracht Die vollgestirnte Nacht. Wie strudelte, wie wogt’ aus unausdenkbarn Fernen Der Orellanastrom von Sonnen, Monden, Sternen!
Wie äugelte so mild aus dem saphirnen Guß Die weisse Azimech, der rothe Regulus! Es drängte Welt an Welt, es rollte Sonn’ an Sonne, Ein heiliges Gewühl von Leben, Glanz und Wonne, Es lag das große All still feirend, liebewarm
In seines Vaters Arm. Da ward das Herz mir weich. Es schmolz in süsses Sehnen, Das Auge lezte sich an wollustreichen Thränen. Zu hoher Freudigkeit erwuchs das kalte Graun; Der scheue Sklavensinn zu kindlichem Vertraun.
„O Vater, rief ich aus, o du, in dessen Armen Der Engel und der Wurm, und Mensch und Milb’ erwarmen, Dir sinkt dein reuig Kind mit gramgemischter Lust An die versöhnte Brust. Neukräftig stieg ich nun herab vom Prüfungshügel,
In Osten wehten schon des Morgens Saffranflügel, In hochzeitlichem Schmuck lag feyrend die Natur, Das Meer ein Amethyst, und ein Smaragd die Flur. Am trümmervollen Strand, im Schutt verbrannter Hütte, Trat ich ein Retter auf in der Verarmten Mitte
Ich träuffl’ in ihren Kelch des Mitleids Honigseim, Und ging getröstet heim. Kosegarten. |