Philosophie (Tucholsky) (Andere Gedichte)
Philosophie Von Theobald Tiger Der Weise liest in einem Buch. Und denkt: Dies ist ein Erdenfluch, daß wir zwar mit dem Kopf im Blauen den Zimt da unten überschauen;
jedoch die Beine haften klamm hienieden auf dem Asphaltdamm. So las ich jüngst in einem Blatte, das meine Frau aus Pommern hatte: „Der Mensch lebt nicht von Kunst allein –
es muß auch mal ein Foxtrott sein!“ Welch weises Wort! Der Mann, beseligt, weil er das niedre Volk befehligt, nimmt hier und da gelegentlich ein Bad im Moor. Drin aalt er sich.
Es klebt die Konnexion wie Harz (es reimt sich hierauf Brüder Sklarz). Der reinste Mann, am stillen Ort, befolgt er jenes weise Wort: „Der Mensch lebt nicht von Kunst allein –
es muß auch mal ein Foxtrott sein!“ Und die Theater? Lieben Leute, wie kommts, daß sich der Thespis scheute, daß er am ganzen Leibe zittert, wenn er die Kunst von fern nur wittert?
Er kennt die Kunst – doch auch die Masse und denkt an die Theaterkasse. Und fern von Goethe winkt zum Glück das Operettenserienstück … „Der Mensch lebt nicht von Kunst allein –
es muß auch mal ein Foxtrott sein!“ So wars im Frieden, wars im Krieg. Und auch mit jener Politik – Wer hat uns in den Sumpf gerudert? Die Clowns sind mehlweiß überpudert:
Mal ein Genral, mal ein Professer, und das kommt alle Tage besser. Für die Erheiterung sorgt doch schon der Tanz der lieben Reaktion … „Der Mensch lebt nicht von Kunst allein –
es muß auch mal ein Foxtrott sein!“
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:47 von 2rhyme
Autor: Kurt Tucholsky
Quelle: de.wikisource.org
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