Prolog zu dem Schauspiele: Alte Zeit und neue Zeit (Andere Gedichte)
Prolog zu dem Schauspiele: Alte Zeit und neue Zeit bei der Wiedereröfnung des Weimarischen Theaters 1794. ________
(Madame Becker, als Jakob, vor einem Tische, auf welchem ein Spiegel steht, und
einige Bücher liegen.) So hätt’ ich mich denn wieder angezogen, Mich abermals verkleidet, und nun soll, Im vielgeliebten Weimar wieder Zum erstenmal ein neues Stück gegeben werden,
Das Alt und neue Zeit zum Titel hat. Ja! alt und neue Zeit! das sind fürwahr Besondre Worte. – Seh ich mich im Spiegel Als Knabe wieder angezogen, auf dem Zettel Als Jakob angekündigt; wird mirs wunderlich
Zu Muthe – Jakob soll ich heißen? Ein Knabe seyn? das glaubt kein Mensch. Wie viele werden nicht mich sehn und kennen, Besonders die, die mich als kleine Christel Mit ihrer Freundschaft, ihrer Gunst beglückt.
Was soll das nun? Man zieht sich aus und an, Der Vorhang hebt sich, da ist alles Licht Und Lust, und wenn er endlich wieder fällt, Da gehn die Lampen aus und riechen übel – Erst ist man klein, wird größer, man gefällt,
Man liebt – und endlich ist die Frau, Die Mutter da, die selbst nicht weiß, Was sie zu ihren Kindern sagen soll – Und wenns nichts weiter wäre, möchte man So wenig hier agiren, als da draußen leben. (Sie blättert in den Büchern, schlägt sie endlich zu und legt sie hin.)
Jakob – was fällt dir ein? Man sieht doch recht, daß du ein Schüler bist. Ein guter zwar, doch der zuviel allein In seinen Büchern steckt – Hinweg die Grillen, Hervor mit dir – Begrüße diese Stadt,
Die alles Gute pflegt, die alles nützt; Wo sicher und vergnügt sich das Gewerbe An Wissenschaft und Künste schließt, wo längst Die stumpfe Dummheit der Geschmack vertrieb, Wo alles Gute wirkt, wo das Theater
In diesen Kreis des Guten mitgehört. Ja gönnt uns diesen Trost, daß wir nicht ganz umsonst Hier oben uns bemühn. Wenn Herz und Geist Sich euch erweitern, wenn ihr zu Geschäften Euch wieder munter fühlt,
Wenn der Geschmack sich allgemeiner zeigt, Wenn euer Unheil immer sichrer wird, So denkt: Auch jener kleine Jakob hat Dazu was beigetragen, und seyd ihm, Seyd allen, die hier oben mit ihm wirken,
Zur neuen Zeit, so wie zur alten günstig. GÖTHE.
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:48 von 2rhyme
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Quelle: de.wikisource.org
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