Erinnerung an Hammonia (Andere Gedichte)
Waisenkinder, zwei und zwei, Wallen fromm und froh vorbei, Tragen alle blaue Röckchen, Haben alle rothe Bäckchen –
O, die hübschen Waisenkinder! Jeder sieht sie an gerührt, Und die Büchse klingelirt; Von geheimen Vaterhänden Fließen ihnen reiche Spenden –
O, die hübschen Waisenkinder! Frauen, die gefühlvoll sind, Küssen manchem armen Kind Sein Rotznäschen und sein Schnütchen, Schenken ihm ein Zuckerdütchen –
O die hübschen Waisenkinder!
Schmuhlchen wirft verschämten Blicks Einen Thaler in die Büchs – Denn er hat ein Herz – und heiter Schleppt er seinen Zwerchsack weiter.
O, die hübschen Waisenkinder! Einen goldnen Louisd’or Giebt ein frommer Herr; zuvor Guckt er in die Himmelshöhe, Ob der liebe Gott ihn sähe?
O, die hübschen Waisenkinder! Litzenbrüder, Arbeitsleut’, Hausknecht’, Küper, feiern heut; Werden manche Flasche leeren Auf das Wohlsein dieser Gören –
O, die hübschen Waisenkinder! Schutzgöttin Hammonia Folgt dem Zug incognita, Stolz bewegt sie die enormen Massen ihrer hintern Formen –
O, die hübschen Waisenkinder!
Vor dem Thor, auf grünem Feld, Rauscht Musik im hohen Zelt, Das bewimpelt und beflittert; Dorten werden abgefüttert
Diese hübschen Waisenkinder. Sitzen dort in langer Reih, Schmausen gütlich süßen Brei, Torten, Kuchen, leckre Speischen, Und sie knuspern wie die Mäuschen,
Diese hübschen Waisenkinder. Leider kommt mir in den Sinn Jetzt ein Waisenhaus, worin Kein so fröhliches Gastiren; Gar elendig lamentiren
Dort Millionen Waisenkinder. Die Montur ist nicht egal, Manchem fehlt das Mittagsmahl; Keiner geht dort mit dem andern, Einsam, kummervoll dort wandern
Viel Millionen Waisenkinder.
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:53 von 2rhyme
Autor: Heinrich Heine
Quelle: de.wikisource.org
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