Nacht! (Ulk) (Andere Gedichte)
Nacht! Wenn aus den Löchern und aus den Kaschemmen Gesichter steigen, die man niemals sah – wenn Spezialisten ganze Schränke klemmen, wenn aus dem Skatvereine kommt Papa –
wenn jene Mädchen mit dem falschen Busen von einem Gulasch zu zwölf fuffzig schmusen, wenn brav und treu die Schließgesellschaft wacht –: dann ist es Nacht, die Neu-Berliner Nacht … Der Asphalt glitscht. Die Bogenlampen funkeln.
Der Regen rinnt. Die Nebelschwaden ziehn. Die Tugend wackelt – bis sie fällt – im Dunkeln … Wie hast du dich verändert, mein Berlin! Wenn man für eine Fahrt vom Leipziger Platze im Ommnibus zwei lumpige Märker zahlt –
wenn Meta mit dem Portokassenschatze sich in der (doch noch offnen) Bar beim Whisky aalt – wenn Ludewiche an den Ecken raufen, wo feine Leute billige Seife kaufen, wenn das Roulette noch schnell Geschäfte macht –:
dann ist es Nacht, die Neu-Berliner Nacht … Der Asphalt glitscht. Die Bogenlampen funkeln. Der Regen rinnt. Die Nebelschwaden ziehn. Die Tugend wackelt – bis sie fällt – im Dunkeln … Wie hast du dich verändert, mein Berlin!
Wenn knackend voll und zischend durch die Hallen der letzte Untergrundbahnzug mit Pfeifen saust – wenn du den Mädchen, die dir sehr gefallen, von wegen morgen früh nicht gerne traust – wenn sie diskret dich in die Bar verschleppen
und dich dort neppen, neppen, neppen, neppen – bis ihr am Alexanderplatz erwacht –: dann ist es Nacht, die Neu-Berliner Nacht … Der Asphalt glitscht. Die Bogenlampen funkeln. Der Regen rinnt. Die Nebelschwaden ziehn.
Die Tugend wackelt – bis sie fällt – im Dunkeln … Und schöner bist du nicht, du mein Berlin –!
Theobald Tiger
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:35 von 2rhyme
Autor: Kurt Tucholsky
Quelle: de.wikisource.org
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