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Zwei Frauen (Andere Gedichte)

Zwei Frauen.

Ich sah auf der Strasse ein armes Weib,
Krankheit im Gesicht und Lumpen am Leib,
Ein Kind an der Hand, des Elends Bild. –
     „Du Arme, o bleib’

Und sag’, was dir fehlt!“ so fragt’ ich sie mild.


Sie sah ins Gesicht mir, wild und bleich:
„Warum bin ich arm, und warum bist du reich?
Ei hätt’ ich wie du mein gutes Brot,
     Dann würden sogleich

Die mageren Wangen rund und rot!


Ja, müsst’ ich nicht betteln, wie ich es tu’,
Und trüg’ ich seidene Kleider wie du,
Dann säh’ auch ich dem Elend hier
     Gelassen zu

Und braucht’ nicht zu reden, du Reiche, mit dir!


Da der Bub’ ist geboren in Sünd’ und Schand’,
Seinen Vater, den hat er nie gekannt.
Nun wächst er in Schmach und Elend heran,
     Zieht mit mir durchs Land

Und wird sein Lebtag kein ehrlicher Mann.


Ja, das Kind, das ist meine schwerste Not,
Es quält den ganzen Tag mich um Brot,
Und so schlepp’ ich die Last mit mir herum –
     O läg’ es nur tot,

Dann wären die hungrigen Lippen doch stumm!


Umsonst hab’ ich ehrliche Arbeit gesucht,
Nur Spott und Hunger, das war die Frucht –
Der Tag, da die Mutter geboren mich,
     Der sei verflucht!

Wer ist noch so arm und so elend wie ich!?“
[269]

- – Mir aber rannen die Tränen herab,
Weil ich ein eigenes Kind nicht hab’,
Einst hatt’ ich eins, doch lange ist’s her,
     Jetzt liegt es im Grab . . .

Ach, wenn ich die arme Frau doch wär’!


Ernst Zitelmann.

Eingetragen am 08.11.2011 09:35:45 von 2rhyme
Autor: Ernst Zitelmann
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org



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