Das verwunschene Schloß (Andere Gedichte)
Das verwunschene Schloß. Inmitten einer lieblichen Au, Die sonniges Licht übergoß, Erhob sich einst ein stattlicher Bau, Ein schönes, strahlendes Schloß.
Das Reich, wo es sich luftig erhob, War des Königs „Gedanke“ Land, Und Seraphschwingen waren darob Unsichtbar ausgespannt. Goldgelbe Banner aus Damast,
Gebadet in Sonnengluth, Wallten schimmernd herab vom Palast Wie eine goldne Flut. Und jeder schmeichlerische Zephyr, Der mit den Blüthen dort
Gekost, flog aus dem Zauberrevier Als Wohlgeruch wieder fort. Die Wandrer blickten in jenem Thal Durch Fenster aus leuchtendem Glas In einen hohen blendenden Saal,
Wo des Reiches Gebieter saß. Sein Thron mit purpurnem Baldachin War ganz aus Edelgestein Und Genienschaaren umschwebten ihn Zu lieblichen Melodei’n.
Mit Perlen und Rubinen besät War des Palastes Portal, Durch dieses flatterte früh und spät Ein Echoschwarm ohne Zahl Vor den König hin, indem es ihm,
Seiner hohen Weisheit zum Preis, Einen Chorus sang wie Seraphim, So süß und träumerisch leis. Doch wüstes Volk in der Sorge Gewand Nahm Thron und Reich in Beschlag.
Weh, nie mehr dämmert in jenem Land Der Tag, weh, nimmer ein Tag! Und alles, alles, was dort umher Gepranget an Herrlichkeit, Ist jetzund eine traumhafte Mär’
Aus lang begrabner Zeit. Jetzt zeigen sich des Wanderers Blick Gestalten knöchern und starr Und schwingen sich zu toller Musik In Reigen wild und bizarr.
Dieweil gleich einem lautlosen Strom Sich in die ewige Nacht Zur Thür hinausstürzt Phantom um Phantom Und nimmermehr lächelt – doch lacht.
Eingetragen am 08.11.2011 09:33:11 von 2rhyme
Autor: Edgar Allan Poe
Quelle: de.wikisource.org
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