Schlußrede zu einem Trauerspiele (Andere Gedichte)
Schlußrede zu einem Trauerspiele Gehalten von Madame Schuch 1754 Euch, die Geschmack und Ernst und was nur Weise rührt, Die Tugend und ihr Lohn, ins Trauerspiel geführt, Euch macht Melpomene durch künstliches Betrügen Beklemmtes Herz zur Lust und Mitleid zum Vergnügen.
Ihr fühlt es, was ein Held, der mit dem Schicksal ficht, Und mit Affekten kämpft, in schweren Worten spricht; Ihr folgt ihm durch den Kampf, mit gleich geteilten Trieben Zu hassen, wenn er haßt, und wenn er liebt, zu lieben. Ihr hofft, ihr tobt mit ihm; ihr teilt sein Weh und Wohl
Und kurz ihr habt das Herz, wie man es haben soll. Schämt euch der Wehmut nicht, die feucht im Auge schimmert, Gönnt ihr, ach! gönnet ihr den Ausbruch! Unbekümmert, Ob Wesen oder Schein, ob Wahrheit oder Trug, Den Panzer um das Herz mit süßer Macht zerschlug.
Die Gottheit des Geschmacks zählt jedes Kenners Zähre Und hebt sie teuer auf, zu sein und unsrer Ehre. Zu unsrer Ehre? – Ja, als Teil an unserm Lohn, Durch der Gebärden Reiz, durch Mienen, Tracht und Ton, Und durch die ganze Kunst ruhmvoller Heuchlergaben,
Der Tadelsucht zum Trotz! sie euch erpreßt zu haben.
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:54 von 2rhyme
Autor: Gotthold Ephraim Lessing
Quelle: de.wikisource.org
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