„Wie ein Leichnam sollt ihr werden!“ (Andere Gedichte)
„Wie ein Leichnam sollt Ihr werden,“ Tönt Loyola’s Zauberspruch, Und so hüllen sie Europa Wieder in ein Leichentuch!
Keine That im Reich der Geister Weckt lebend’gen Wiederhall; Nur die Heil’gen reden dreister – Zeichen, Wunder überall! Welke Königslilien schmücken
Eine Bastardrepublik, Die zu Gnadenbildern pilgert, Um’s Gewand den Büßerstrick, In der Hand die frommen Kerzen, In den Augen Himmelslust,
Auf der Brust geweihte Herzen – Nichts Geweihtes in der Brust. Frankreichs große Todte regen Zürnend sich im Heiligthum; Wie im Dom der Invaliden
Schläft des Volkes Macht und Ruhm; Die der Geister Schlacht geschlagen, Sehn erzürnt den nächt’gen Trug; Die des Adlers Blitz getragen, Schauern vor dem Eulenflug.
Königliche Paladine Kämpfen bei Trompetenschall; Dort, wo Roland’s Horn ertönte Einst im Thal von Ronceval, Wo im Schlachtenungewitter
Karl’s des Großen Stern erblich, Drängen jetzt die irren Ritter Um die kleinen Karle sich. Du zerfleischtes Land der Stoltzen, Spanien, du Marmorbraut,
Die mit thränenlosen Augen Auf ihr wachsend Elend schaut: Nur der Purpur und die Stola Retten dich zum letzten Mal; Dich begraben die Loyola
Wieder im Escurial. Einer nur von sieben Hügeln Bleibt dem priesterlichen Rom; Doch noch wölbt die alte Kuppel Stolz sich über Petri Dom.
In der Völker bang Gewissen Schleicht von Neuem alter Wahn; Denn von Sonnenfinsternissen Dunkelt’s um den Vatican. – „Wie ein Leichnam sollt Ihr werden,“
Tönt Loyola’s Zauberspruch. Deutsches Reich, du neugebor’nes, Trotzest diesem Bann und Fluch. In der Heimath eines Hutten Zünden Eure Strahlen nicht,
Und mir leuchten dunkeln Kutten Unverzagt in’s Angesicht. Licht des Geistes, schimm’re freudig Von des Reiches Zinnen her! Geist der Freiheit, brause mächtig
Durch die Lande segensschwer! Der Verwesung laß die Leichen! Die Lebend’gen athmen frei, Daß dies Reich vor allen Reichen Fels und Hort der Menschheit sei! Rudolf Gottschall.
Eingetragen am 08.11.2011 09:35:47 von 2rhyme
Autor: Rudolf Gottschall
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