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Volk in Not (Andere Gedichte)

 Volk in Not

 Von Theobald Tiger

Und während in Versailles die Würfel rollen –
das Spiel steht schlecht …
Und während in Versailles die Würfel rollen,
tanzt dieses Volk in nimmermüdem Foxtrott

um seine alten goldnen Kälbergötzen:


Der Spielklub stippevoll. Die feinen Leute,
die vormittags geschlummert, nachmittags
hingegen vierte Hypotheken sanft verschoben,
erblühn im hellen Schein der gelben Lampen

zu neuem Leben. Poker. Meistens Bac.

„Die Frau da drüben ist die Freundin
des großen Brauereibesitzers … Ja, die Perlen –!
Er kanns und hats, und sie verliert am Abend,
was er am Tag verdient. Ich bitte Sie! Er lacht!“

Ein großer Schlag – der Jüngling, der die Bank hält,

zahlt (Haltung! Haltung! Halt dir senkrecht, Karle!)
auf einem Sitz an einen hagern Alten
einhundertfünfzigtausend Mark.

Versailles? –

Ah! Versailles!


Es rauscht der Ball. Das Ganze: dritter Klasse.
Hier tanzt das Glück auf ziemlich großen Füßen,
hier lacht das Glück von ziemlich dicken Lippen,
hier schiebt der Mann mit der Matrosenmütze –

und eine heisre Stimme ruft: „Du, Orje! Orje!

Schmeiß mir doch ma det schwachze Meechen riba!“
Und eine andre Stimme übertönt den Reigen,
hart, im Kommandotone: „Bitte woiter!“

Versailles? –

Ah! Versailles!


Im Kino nicht ein Platz. Vorn, auf der Leinwand,
ist Mord und Totschlag. Seidne Betten kippen,
die Dirne hebt beschwörend dürre Arme,
der Ludewich zieht voller Hast ein Messer,

und hinten lauscht, im Cutaway, der Gent.

Ein Brief:
 „Da du mich nicht mehr liebst,
 schieß ich mir tott. Auf Wiedersehen! Luzie.“
Das Publikum: ein Tier mit tausend Köpfen –

kein Laut – die Frauen atmen schwerer –

der Regisseur legt einen kleinen Mord ein – –

Versailles? –
Ah! Versailles!

Und so beim Rennen, so bei Künstlerspielen,

und so im Café, in Hotels und Dielen …


Versailles? –
Ah! Versailles!

So sollt man also trauern? Und: es hilft nichts?
Es kommt ja alles, wie es kommen muß?

Und keiner achtete auf eure Haltung?

Ich weiß doch nicht.
 Ein Volk in schweren Nöten,
ein Volk vor bitterster Entscheidungsstunde,
vergibt sich nichts, wenn es in Würde schweigt.

Ich hielt euch einen Spiegel vor. Saht ihr nur Fratzen?

Das Glas zerrt nicht – es wird wohl Wahrheit sein.
Bedenkt: der Panter mit den scharfen Tatzen
spielt jetzt mit uns. Er tastet nach dem Rhein …
     Wacht Deutschland noch? Dann soll es höher streben:

     Gebt uns das alte deutsche saubre Leben!

Eingetragen am 08.11.2011 09:35:21 von 2rhyme
Autor: Kurt Tucholsky
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org



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