Mithra (Andere Gedichte)
Mithra. Sie sagen: Mystischen Kult hab' einst Die Höhle belauscht, und Blut Sei hier geflossen in dampfenden Strömen, purpurn,
Wie die Morgenwolken, darauf Der Gott thront, dem die Opfer verröchelt .... Nacht war's, Als ich herniederstieg, lautlos, ungeseh'n, Und im Takt der Wogen pocht' es in meinen Schläfen; An's moos'ge Gestein
Lehnt' ich das Haupt und vergrub Die zuckenden Hände in's Farrenkraut, und aufstieg Ein feucht-schwüler Duft daraus wie ein brünstiger Odem. Ich wollt' ein Geheimnis belauschen, wollt' Die Macht empfinden, die hier
Die Menschen gebändigt, daß sie Ihr Blut hingaben für leuchtende Morgenwolken Und Leben für Licht .... Noch stand Die Nacht vor mir, die Königin: In die Himmel ragte ihr Antlitz
Und über den Bergen hing Ihr violenfarbiger Sammetmantel — unter Den weichen Tritten kräuselte sich die Fluth. Und still war's. Wie in Todesstarre lag
Das Leben im Bann des Schlummers, regungslos. Schwarz drohten die Küstenberge Zu mir herüber, schwarz floß Mit der Finsternis das Meer zusammen – und Sie dehnte sich aus und wuchs in meine Seele
hinein — öd, trostlos .... und mir fuhr Ein Grausen durchs Herz: wenn sie Nun ewig währte? Wenn dumpf Und bleischwer ihre Last Das Leben erdrückte? Ihr Schooß
Die Farben verschlänge und In lichtloser Ferne der Klang erstürbe? – Hinwelkten Zuerst die Blumen wie Kinder; dann sänk' Aus brütender Höhe Vogel um Vogel, mit Gebroch'nem Aug' und zuckendem Fittich – aufraste
Dann endlich der Mensch und Blindheit quöll' Durchs Aug' ihm in die Seele Und Verzweiflung erfaßte ihn! Hinwürgten Die Muthigsten sich selbst;
Den Andern aber bräche Das Grau'n die Stimmen und Sie stierten zitternden Leib's In die Nacht hinaus und lauschten Dem Angstgeheule der Bestien, davor
Sie einst erbebt, und bangten nun, daß es Verstummen könne und mit der Finsternis Die Einsamkeit sie verschlänge .... Dann schleichen sie Zum Meer hinab und spähen,
Ob seinem stummen Gethier Die Angst nicht Sprache verlieh'n: Hinzieht Die Fluth, doch die Wellen klingen nicht Und stumm bleibt die Tiefe! Da reißt sie
Der Wahnwitz hinab — und hinstürbe Mit ihnen ihr Größenwahn, Hinstürben Ihre Lügen, ihre Schuld, Ihre Götter, ihre Götzen,
Und der Schrei des letzten kläng' Wie ein Hohngelächter des Weltraum's .... Da streifte Ein herb-kühler Hauch meine Stirn, Aufschauerte es
Um mich, ein schimmernder Streifen stand im Osten: Der junge Tag! Fortscheuchte er Die Dämm'rung, daß ihre grauen Schleier flogen, Und Grenzen gab er Den Dingen und Farben, und aufriß
Er plötzlich die Wolken und der Himmel flammte, Entgegenbäumte sich Wie eine Geliebte das Meer dem nahenden Gott! Dort stieg Er auf in furchtbarer Majestät,
Und vor ihm her Gingen Urwelt-Schauer, und Er hüllte sich in die Farbe des Blut's wie Moloch! Und begehrte er Blut – was gält' Ein Leben, an seinem Altare hingeschlachtet,
Ein Lügner, verröchelnd vor seinem Thron? Hat er Die Millionen nicht Geschaffen, die Tag für Tag Entgegen ihm jauchzen? Kann er
Nicht Milliarden noch schaffen? Beschlossen ruht In seinem Flammenschooß Das Geheimnis uns'res Ursprungs, unseres Endes, Und heischte Er heut' ein Opfer für seine Wiederkehr,
Könnt' Menschenblut sein Schöpferdasein verew'gen – Es zitterte der Stahl in jeder Hand ....
Eingetragen am 08.11.2011 09:34:29 von 2rhyme
Autor: Marie Eugenie Delle Grazie
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org
|