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Märchentraum (Andere Gedichte)

Märchentraum.


Im Walde lag ich
Und las tiefsinnend
Unter Fliedergebüsch und wilden Rosen
Alte verklungene Märchen,

Sehnsuchtlächelnd und zauberheimlich;

Las von dem Wundervogel,
Dem der zweifelnde Mönch
Eine Stunde gelauscht,
Und diese Stunde –

War ein Jahrhundert.

Und mein Herz beschlich
Des neugierigen Wunsches
Vermessenes Sehnen,
Zu träumen wie er, –

Und also geschah es.

Hoch über mir
In des Waldes grüngoldiger Nacht
Sang es fremden, lieblichen Laut.
Ferne nur rauschte die Welt;

[26]
Aus dem dampfenden Thal,

Duftübersponnen,
Drang leis und leiser
Das Summen des Marktes,
Der Hammerschlag der Gewerbe,

Der emsigen Menschheit Mühestöhnen.

Durch die Föhrenstämme der Halde
Ward mir vergittert
Das Bild der blauenden Berge
Und der fernen Menschengefilde.

Und mir war’s, als gingen

Im süßverzehrenden Zauberklang
Lange, lange Jahre
Meinem lauschenden Herzen vorüber,
Als tilgte die karge Zeit

Mit wenig Minuten

Die Schuld eines ganzen Jahrhunderts. –
Der Vogel schwieg –
Und ich kehrte zurück.
Nach deinem Herzen

Zog mich die Sehnsucht,

Du Glück meiner sonnigen Jugend!
Ich stand auf der Höhe
Und blickte hinab
In’s Thal meiner Kindheit.

Noch schien es dasselbe

Thal meiner Kindheit, –

[27]

Und doch ganz anders.
Noch grüßten wie sonst
Die grauen Thürme herüber,

Doch ihr Haupt war grauer,

Als wären viel tausend Stürme
Seitdem an ihnen vorübergerauscht.
Ich trat in die Stadt,
In unbekannte, volkwimmelnde Straßen.

Die geschäftigen Menschen alle,

Sie staunten mich an, –
Und ich kannte sie nicht.
Geängstigt frug ich
Nach meines Vaters Haus,

Und nach deinem Hause,

Du Kind meiner Sehnsucht!
Sie staunten mich an,
Und verstanden mich nicht.
Mir floß eine Thräne,

Sie umringten mich schweigend

Und lächelten mitleidig
Meines wehträumenden Wahnsinns.
Da kam eine Alte vorbei
Tief auf den Stab gebückt

Unter dem Druck der Jahrzehnte.

Die hörte meine Frage
Mit halbem Ohr
Und nickte und lächelte seltsam.

[28]

„Die du suchest,

Sind längst gestorben,

Längst begraben,
Längst vergessen.
Mir erzählte man einst
Als Ammenmärchen

Von der irrsinnigen Braut,

Deren Bräutigam verschollen im Walde.
Dort in der Gasse
Steht noch ihr Haus,
Draußen am Thalend’

Find’st du die Gräber.“

Da griff ich mir schwindelnd
An die brennende Stirne, –
Und sie war kahl und furchenvoll,
Meine Hand so welk,

Mein Bart schneeweiß und wallend.

Da ging ich stumm
Aus der fragenden Menge,
Am Hause vorüber,
Wo du geweilet,

Wo ich noch gestern

Gluthenberauscht
An mein wildes Herz geschwungen
Deine süße Gestalt,
Gesogen von deinen Lippen

Den Hauch der ewigen Liebe.
[29]

Und das Alles vorüber?
Lange, lange vorüber?
Noch stand das liebe,
Ehrwürdige Haus,

Doch sah’n aus den Fenstern

Unfreundliche, fremde Gesichter.
Alles vorüber!
Lange, lange vorüber!
Du mir verloren,

Ich selbst mir verloren,

Im Grabe meine Welt! –
Und ich wandte mich
Mit weinendem Herzen
Durch die Rebenhügel

Den steigenden Pfad,

Den ich in goldener Abendzeit
So oft gewandelt mit dir.
Nach der Rosenstaude sucht’ ich
An der alten Weinbergmauer,

Wo die Drossel schlug,

Und das Heimchen sein träum’risches Lied sang;
Wo wir hinuntersah’n,
Arm in Arm, Wange an Wange,
In die abendliche Stadt,

In die dämmernde Flur;

Wo ich meine Lieder dir las,
Oft verwirrt durch dein schwärm’risches Auge;

[30]

Wo wir mit Lächeln und Seufzen
In der Zukunft Tage geblickt.

Ach, die Mauer stand längst nicht mehr,

Eine breite Straße führte vorüber.
Doch grüßte wieder
Abendliches Leuchten
Die liebe Stelle.

Und ich stand – und stand.

Aus dem Garten zur Seite
Jauchzten die Stimmen
Fröhlicher Mädchen herüber, –
Deine Stimme nicht mehr!

Dort, wo der Nebel spinnt

Sein trübes Todtenkleid,
Dort grünt dein vergessenes Grab.
Und ich – was soll ich hier?
Ausgelöscht im Buche der Lebenden,

Ein uralter, verdorrter Stamm

Mitten in der blühenden Welt.
Keine Seele für mich!
Kein Trost, keine Hoffnung!
Und wieder klomm ich zurück zum Wald,

Zum bösen Orte des Zaubers.

Die Sonne sank hinter mir,
Und ich legte mich wieder
Unter Fliedergebüsch und wilde Rosen.
Doch drunten im Thal meiner Heimath,

[30]
Meiner längst verlorenen Heimath,

Klangen hold und friedlich
Die alten Glocken,
Selige Klänge aus ferner Kindheit;
Und zu längerem Schlummer

Neigt’ sich mein Herz,

Eingelullt in melodischer Wiege.
Träume umfingen mich
Todesselig.
Aus ferner Vergangenheit

Breiteten sich lockende Arme

Sehnsüchtig herüber.
Aus dem verschwingenden Klang
Hörte ich schmeichelnde Worte
Unaussprechlich für Menschenlippen.

Der Klang verklang,

Mein müdes Haupt sank nieder.
Kaum hörbar murmelte noch
Geheime Schlummersprüche
Der ewige Wald.



Eingetragen am 08.11.2011 09:34:34 von 2rhyme
Autor: Wilhelm Hertz
Quelle: de.wikisource.org
Weitere Informationen unter: http://de.wikisource.org



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