An der See (Andere Gedichte)
Nun sinken böse Sterne Tief hinter mir in Nacht. Es ladet mich die Ferne Mit frischer Morgenpracht.
Die wanderfrohen Wellen Mit weißem Kamme schwellen, Von Süden weht’s mit Macht. In wenig Stunden fodert Der Bootsmann mich zum Strand.
Durch meine Seele lodert Des Abschieds scharfer Brand. Die Lippe fragt so bange: Wie lang’, ach, auf wie lange Meid’ ich das Vaterland?
Doch eh’ zum schwanken Loose Ich frisch mich wende nun, Eh’ neues Schlachtgetose Mich ruft zu kühnem Thun: War es mir doch beschieden
In deutschen Hauses Frieden Noch einmal auszuruhn! Ich kam auf Flüchtlingspfaden Geächtet und gebannt; Ich kam von Schmerz beladen,
Von Haß und Zorn entbrannt; Es schlug die Flucht mir Wunden, Sie wurden mir verbunden Von mütterlicher Hand. Hier fand ich deutsche Seelen
und echtes Sachsenblut; Sie setzten ohne Wählen An mich ihr Glück und Gut; Hier an des Landes Marken, Da fand ich noch den starken,
Den treuen Opfermuth! O Eure fromme Güte, Sie that sich nie genug! Sie stillt mir im Gemüthe Den Ingrimm, den ich trug;
Ihr habt es mir verliehen, Daß ich vermag zu ziehen In’s Elend ohne Fluch. Drum Segen diesem Heerde Und Heil ihm ewiglich,
Wo noch nicht von der Erde Das fromme Gastrecht wich! Auf allen ihren Wegen, Mein Kind, den Deinen Segen, Und Segen auch auf Dich!
Bald wirst Du selbst ja schalten Mit mütterlichem Sinn, Des eignen Hauses walten Zum freudigsten Gewinn; Dem trefflichen Gemahle
Beutst Du der Jugend Schale, Du liebe Schaffnerin! Auch uns, drauf magst Du trauen, Fällt anders bald das Loos. Und rasch zu Euren Auen
Wiegt mich des Meeres Schooß; Aus Franken und aus Sachsen Soll dann Zusammenwachsen Ein Deutschland frei und groß!
Eingetragen am 08.11.2011 09:32:59 von 2rhyme
Autor: Gottfried Kinkel
Quelle: de.wikisource.org
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